Alte Diskussion – neu entfacht…

    Über 90 Prozent Frauenanteil in Primarschulen: Ein Problem für die «Rollenfindung» bei Buben?

    Vor 20 Jahren wurde das Gleichstellungsgesetz eingeführt. Bei einigen Kantonen, darunter gehört auch der Kanton Basel-Landschaft, hatte dies nachhaltige Folgen auf das Geschlechterverhältnis in gewissen Berufsbranchen. Besonders bei den Bildungsberufen auf Kindergarten- und Primarschulstufe.

    (Bild: Fotolia) Ein gewohntes Bild in den Primarschulen: Die Lehrperson ist eine Frau.

    Im August 2016 erschien der Gleichstellungsbericht mit Zahlen und Fakten aus verschiedenen Lebensbereichen. Seit der Einführung des Verfassungsauftrags 1981 und des Gleichstellungsgesetzes vor 20 Jahren gab es nachhaltige Veränderungen. Speziell auch im Bereich der Erwerbsquoten, beziehungsweise bei den Berufsbildern.

    Primarschul-Lehrkräfte: Weit über 90 Prozent Frauenanteil
    So hat sich seit 1990 hat die Erwerbsquote der 15- bis 64-jährigen Frauen schweizweit 61 auf 74 Prozent erhöht. Bei den Männern hat sie von 91 auf 85 Prozent abgenommen.

    Erstaunlich indes ist jedoch im Bericht, dass bei den Berufsbildern sich eine sehr starke Tendenz noch weiter akzentuiert hat: So werden derzeit in den meisten Kantonen, so auch in Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Kinder im Primarschulalter fast ausschliesslich von Frauen unterrichtet und somit auch in diesem Lebensabschnitt geprägt. Im Kindergarten sind 99 Prozent und in der Primarschule 94 Prozent der Lehrpersonen weiblich. Dem gegenüber ist ein Ungleichgewicht bei den Professuren (Beispiel Universität Basel) feststellbar, wo der Männeranteil bei 78 Prozent steht. Dies hat unter anderem oft auch mit den möglichen Teilzeitpensen auf Primarschulstufe zu tun, die nach wie vor eher von weiblichen Lehrpersonen angenommen und bewältigt werden.

    Einfluss auf die «Rollenfindung» bei Buben
    Immer mehr Kritiker melden sich nun zu Wort und bemängeln diesen Zustand, der bei den Buben nachhaltige Auswirkungen in ihrem Sozialverhalten und in ihrer Denkweise zur Folge haben kann. Dies sei nicht nur als Negativmerkmal zu verstehen, aber oft wird festgestellt, dass weibliche Lehrkräfte bei den Primarschülern «auf die Rollenfindung grossen Einfluss haben».

    Tatsächlich ist die Frauenquote der Primarlehrpersonen, welche die Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) verlassen, bei über 75 Prozent. Bei den Gymnasiallehrerinnen und -lehrern ist diese Quote bei je 50 Prozent.

    Es gibt aber auch Gegenstimmen, die vor einer «Pathologisierung» der Geschlechter in diesem Kindesalter warnen. Auch wenn die Tendenzen deutlich sind: Wissenschaftliche Erkenntnisse – gestützt von Statistiken – zeigen, dass Buben im heutigen Schulsystem eher zu den «Verlierern» gehören würden als die Mädchen. Die Schulleistungen seien schlechter, sie bräuchten mehr Stützungsunterricht und machen immer seltener die Matura.

    Mädchen mit besseren Schulleistungen und höherer Motivation?
    Nicht wenige sprechen von der «Jungenkrise» aufgrund der Feminisierung der Bildung. Dagegen spreche aber eine Studie und ein Projektbericht aus dem Jahre 2011, der von Elisabeth Grünewald-Huber, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Bern, in Auftrag gegeben wurde: Es sei das stereotype Rollenverständnis, das vielen Buben einen Strich durch die Rechnung machen würde bezüglich Schulleistungen und Wohlbefinden im Schulsystem. Tatsache sei, dass Buben sich weniger für alle Fächer interessieren und einige vernachlässigen. Die Studie zeige ausserdem, dass die Einstellung zu Schule und zum Lernen generell eine entscheidende Rolle spiele. In der Untersuchung war die Eruierung der Motivation zum Lernen bei Mädchen ausgeprägter als bei den Buben. Viel stärker auf die Schulleistungen wirke sich vor allem aber auch die familiäre Herkunft aus. Das kulturelle Milieu und der Bildungsstand der Eltern sowie auch deren Interesse am Schulalltag ihres Kindes beeinflussen den Lernerfolg des Kindes massgeblich.

    «War against boys»? Jungs holen meist rasant auf…
    Dennoch reissen die «War gainst boys»-Vorwürfe einiger Kreise nach dreissig Jahren Mädchenförderung in der Schule nicht ab. Also lohnt sich ein weiterer Blick in die Bildungsforschung und -statistik: In den meisten Studien lässt sich der befürchtete Trend nur geringfügig ablesen. Laut Bundesamt für Statistik schneiden aber die Jungs in den PISA-Tests und bis Ende der obligatorischen Schulzeit schlechter ab als Mädchen. Was jedoch ebenso eindeutig ist: Kurz danach holen die Jungs in der nächsten Schulstufe wieder auf.

    Obwohl, wie schon in diesem Artikel bemerkt, bei den Maturitäten und bei den Bachelorabschlüssen eine Frauenmehrheit herrsche, so sind bei den Berufsmaturitäten und den übrigen Hochschulabschlüssen wie Master und Doktorate und auch bei den Meisterdiplomen die  Männer wieder mehr vertreten. Bei den Weiterbildungen in den Fachhochschulen und Höheren Fachschulen sollen sie sogar dreimal mehr präsent sein.

    In 70 Prozent der Länder dominieren die Mädchen
    Ein Blick über die Grenzen zeigt Erstaunliches: Durchschnittlich in 70 Prozent der Länder liefern Mädchen in der Schule bessere Leistungen ab als Buben. Selbst in Staaten, in denen die Rechte der Frauen stark eingeschränkt sind, schneiden Mädchen besser ab. Das haben Psychologen der Universitäten Glasgow und Missouri untersucht. Schulleistungen von 1,5 Millionen 15-Jährigen weltweit wurden unter die Lupe – laut PISA-Daten aus den Jahren 2000 bis 2010 – genommen.
    Die Leistungen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften wurden hierbei zusammengefasst betrachtet. Die Ausnahmen bilden unter anderem Kolumbien, Costa Rica und der indische Staat Himachal Pradesh. Besonders gross sind die Unterschiede laut der im Magazin «Intelligence» veröffentlichten Studie paradoxerweise in einigen Ländern, in denen die Frauen stark benachteiligt sind: In Katar, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten beispielsweise seien die Schulleistungen der Mädchen deutlich besser als diejenigen der Buben. In den anderen Ländern, darunter auch in der Schweiz, unterschieden sich die Leistungen von Mädchen und Knaben statistisch nicht signifikant.

    JoW, div. Quellen

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