Bei vielen Detailhändlern liegen die Nerven blank

    Können neue Anreizsysteme den Einkaufstourismus eindämmen?

    Der Einkaufstourismus ist in den Grenzregionen thematisch eines der «heissesten Eisen». Handel und Politik wollen den ungebrochenen Trend zum Einkauf im benachbarten Ausland eindämmen. Durch niedrige Freibeträge, Preisoffensiven mit Anreizsystemen in der Schweiz und durch höhere Mehrwertsteuern.

    (Bild: Fotolia) Neue Anreizsysteme gesucht: Die Suche nach dem effizientesten Weg, die «Einkaufsflucht» ins benachbarte Ausland einzudämmen, ist in vollem Gange.

    Der Einkaufstourismus hat auch 2016 stark zugenommen. Die Schweizer Bevölkerung kaufte für viele Milliarden Franken im grenznahen Ausland ein. Das Verhaltensmuster vieler Tausend Schweizerinnen und Schweizern ist natürlich dem hiesigen Handel ein Dorn im Auge. Auch wenn in der Theorie (und manchmal auch in der Praxis) Konkurrenz das Geschäft belebt und die Qualität steigert. Wie aber, kann man mit den finanziellen, aber auch angebotsorientierten Anreizen aus dem benachbarten Ausland konkurrenzieren? Drei Wege werden derzeit als Support für die grenznahen Dienstleistungs- und Detailhandelsbetriebe von der Politik und von Interessengruppen in Betracht gezogen.

    Obligatorische Mehrwertsteuer oder tieferer Freibetrag?
    Der erste Weg aus dem Dilemma soll – so hoffen jene, die diese These unterstützen – die obligatorische Mehrwertsteuerabgabe sein. Folgendes Vorgehen wird vorgeschlagen: Wer sich nach dem Einkauf die ausländische Mehrwertsteuer erstatten lässt, soll darauf oder dafür Schweizer Mehrwertsteuer zahlen. Die Schweizer Mehrwertsteuer entfällt aktuell bei Einkäufen unter 300 Franken. Dieser Freibetrag soll nun auf 50 Franken gesenkt werden oder würde im Falle einer obligatorischen Mehrwertsteuer entfallen. Dieser Weg ist bei der Interessengemeinschaft Detailhandel (Zusammenschluss von Migros, Coop, Manor und Denner) im Moment ziemlich populär. Die Forderung: Einen Einkauf ganz ohne Mehrwertsteuer soll es nicht mehr geben, da er  die Inlandskonsumenten benachteilige, liess sich IG-Sprecher Patrick Marty zitieren.

    Das «Trojanische Pferd» mit dem hohen Personalaufwand und den Zusatzkosten
    Natürlich bedeutet dies einen Zusatzaufwand durch den Schweizer Zoll und somit neue Kostenstellen, die durch digitale Lösungsansätze (zum Beispiel eine App) eingeschränkt werden könnten. In der Theorie durchaus machbar, aber ob es in der Umsetzung auch klappt und diese App auch wirklich vom Zielpublikum «angenommen» wird, steht in den Sternen. Zu bedenken ist, dass Einkaufstouristen noch immer einen Vorteil haben, denn die Mehrwertsteuer beträgt im Ausland mehr als doppelt so viel wie die 8 Prozent (Lebensmittel 2,5 Prozent) in der Schweiz.

    Wie bereits erwähnt, entfällt aktuell bei Einkäufen unter 300 Franken die Mehrwertsteuer. Neu, so ein zweiter Lösungsansatz, soll dieser Freibetrag nur noch 50 Franken betragen. Das ist eine einschneidende Massnahme. Das bedeutet, dass für einen Einkauf von knapp unter 300 Franken nun neu fast 25 Franken Mehrwertsteuer fällig würden. Aber: Auch hier würde die Einführung einen grossen Zusatzaufwand und eine zusätzliche Personalaufstockung am Zoll mit sich ziehen. Und: Der Wechselkurs- und Preisvorteil in den deutschen oder französischen Supermärkten bestünde weiterhin. Der SVP-Ständerat Werner Hössli ist einer der Unterstützer und Initianten dieses Vorgehens zur Eindämmung der «Einkaufsflucht» ins Ausland.

    Neue Anreizsysteme und Preispolitik
    Somit ist für viele Fachleute der dritte Lösungsansatz am relevantesten: Das Anpassen der Preise nach unten im Schweizer Detailhandel. Vor allem bei importierten Produkten. Support für diesen Ansatz gibt es von der Stiftung für Konsumentenschutz mit der «Fair-Preis-Initiative», die im März 2018 eingereicht werden sollte. Schweizer Händler müssen Waren aus dem Ausland oft zu einem Preis einführen, zu dem sie dort an Konsumenten verkauft werden. Dieser sogenannte Schweiz-Zuschlag müsse entfallen. Die Herausforderung wird sein, bei den ausländischen Lieferanten niedrigere Preise durchzusetzen. Für die Schweizer Produkte jedoch würden die Preise nach wie vor  ähnlich bleiben.

    JoW

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